Freitag, 27. Juni 2008

Schmierentheater


"Schmiere" - Illustration aus "Fritz Wolff's Malerbummel", Charlottenburg um 1925 

Es zeugt vielleicht nicht eben von Geschmack, Niveau und Kultur, aber ich mag die Komödie "Der Raub der Sabinerinnen" von Franz und Paul Schönthan in der Bearbeitung von Curt Goetz sehr. Das Stück steht und fällt mit der Besetzung des Wandertheaterdirektors Emanuel Striese, der unverkennbar Züge seines Kollegen Vincent Crummles in Charles Dickens' "Nicholas Nickelby" aufweist. Hervorragend waren Fritz Muliar am Theater in der Josefstadt, Bernhard Wildenhain in der Verfilmung von 1936 oder Gustav Knuth in der Verfilmung von 1954 - und dem einmaligen Vollblutkomödianten Willi Millowitsch war der Schwank wie auf den Leib geschrieben. Alle zelebrierten geradezu den Höhepunkt des Stücks, den berühmten "Striese-Monolog" am Ende des zweiten Akts:
"STRIESE. Schmierentheater! – Hören Sie, jetzt läuft mir die Galle über! Wissen Sie denn überhaupt, was eine Schmiere ist? Es ist wahr, wir ziehen von einem Ort zum andern; aber mein erhabener Kollege, der Herzog von Meiningen, machte es ja ebenso. – Es ist wahr, daß ich meinen Schauspielern fast gar keine Gage bezahlen kann, aber dafür leisten sie desto mehr. Da ist zum Beispiel mein erster Held – ein früherer Apotheker, – das ist ein Beleuchtungsinspektor, wie Sie ihn suchen können; mit Hilfe einer einzigen Petroleumlampe und einer roten Glasscheibe läßt Ihnen der die Sonne untergehen, daß es Ihnen nur so vor den Augen flimmert. Und dabei das Familienleben unter meinen Leuten! Meine Frau kocht für die ganze Gesellschaft, damit meine Sozietäre sich an Entbehrungen gewöhnen. Der Charakterspieler ist nicht zu stolz, die Kartoffeln zu schälen, und mein Jüngster kann gar nicht einschlafen, wenn nicht der Intrigant, der gute Kerl, ihn vorher eine Stunde lang in der Stube herumträgt. Und wie anhänglich mir die Leute sind. Meine jugendlich-naive Liebhaberin ist nun bald achtzehn Jahre bei mir, sie denkt gar nicht daran, wegzugehen. Und was schließlich meine Frau anbelangt – – nicht nur, daß sie das Kassenwesen besorgt, den Schauspielern die Haare brennt, in der Stadt die Requisiten zusammenborgt und abends die größten Rollen spielt, nein, sie hat trotz dieser Ueberbürdung im Laufe der Jahre noch Zeit gefunden, mich mit einer Schar lieblicher Kinder zu beschenken. Sehen Sie, Herr Doktor, das wird an einer Schmiere geleistet, und ich bin der Direktor! Empfehle mich! Wendet sich zum Abgehen.
Der Vorhang fällt"


"Kuno von Schroffenstein: Weh mir! Ich bin verloren! Schon dringt an mein Ohr das furchtbare Schwerterklirren des feindlichen Heeres!"
Die Abbildung und der dazugehörige Text stammen aus dem Jahr 1862. Sie sind in dem wunderbaren Buch "Der Komödiantenkarren kommt. Von den Wandertheatern in Böhmen" von Lilian Schacherl enthalten. (Kempten 1967) Lilian Schacherl vermittelt kenntnisreich, ungeschminkt und sehr originell viel Wissenswertes über die reisenden "Schmierenkomödianten" vom 17. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert. Vor allem aber klingt immer wieder etwas vom Geist des "Striese-Monologs" durch die Abhandlung, die somit auch viel von der besonderen Atmosphäre der einfachen Wandertheater vergangener Zeiten vermittelt.
Diese Theater zeigten Volks- bzw. "Rührstücke", Komödien, in die, ähnlich wie beim Marionettentheater, häufig eine komische Figur eingebunden war, sowie auch Werke bekannter Dramatiker. Sehr beliebt waren z.B. Schillers "Räuber" - auch wenn die Inszenierungen solch personalintensiver Vorlagen den kleinen Truppen einiges an Improvisationstalent abverlangten. Überhaupt nahm man es i.d.R. mit der Werktreue nicht so genau: "Da das Stück mit einem Worte zu lang und natürlich kaum auszuhalten ist, so wird heute alles das, was nicht unumgänglich zum Ganzen der Geschichte gehört, wegbleiben; man versichert zugleich, daß alles so eingerichtet ist, damit es sich zuverläßig bis gegen 9 Uhr endigt, ohne daß die Zuschauer etwas an Unterhaltung verlieren werden." (Theaterzettel der Vinzenischen Gesellschaft aus dem Jahr 1784, in Ruth Eder: Theaterzettel, Dortmund 1980, S.79)

Eine Quelle aus erster Hand stellt die höchst aufschlusssreiche Autobiographie von Alfons Bolz-Feigl "Erlebnisse eines Schmierenkomödianten" (Wien 1913) dar. Bolz-Feigl schildert zahlreiche interessante  Anekdoten aus der Welt der "Schmiere, vor allem aber auch das harte Leben ihrer Schauspieler am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, womit er sich nicht zuletzt gegen allzu humoristische, klischeehafte oder romantisierende Darstellungen in zeitgenössischen Publikationen stellte.
Ein Beispiel geben nachfolgende Zeilen samt zugehöriger Abbildung einer Ausgabe der "Fliegenden Blätter" vom Januar 1896:
"(...)
Da kommen sie her. An der Spitze des Karrens
In scheck'gem Habit kurzweil'gen Hansnarrens,
Den klappernden Klepper an hanfener Strippe,
Ein Lächeln voll Würde auf spöttelnder Lippe,
Im Auge des Stolzes vernichtenden Strahl,
Der hohe Gebieter, ihr Prinzipal.
Zusammengekauert zu seinen Füßen,
Rechts blickend, links nickend mit Handkuß und Grüßen,
Im Schooße ihr Jüngstes, das bildsauber nette,
Die fesche, beliebte, adrette Soubrette.
Den Hut bis zur Braue, dicht neben der Dirne,
Hohläugig, bleichwangig, mit furchiger Stirne,
Ganz hager und mager, kein Haar auf dem Scheitel,
Verbissen, verbittert und doch maßlos eitel,
Als schärfster der Spieler berühmt und bekannt,
In ewigem Weltschmerz: der Intregant.
Doch zuckersüß lächelnd, so schmachtend , so schielend,
Kokett mit dem Fächer von Flitterstoff spielend,
Im fränkischen Reifrock, mit schmächtiger Taille,
Die Lippen wie Kirschen, die Zähne Emaile,
Geschminkt und gepudert, ein Grübchen im Kinn,
Der Stern der Gesellschaft, die Liebhaberin.
Der Held noch, massiv, wie aus Mamor gehauen,
Starkknochig, grobmusklig, ein Günstling der Frauen;
(...)
Und unsagbar rührend von Schuld und von Sühne,
Von flammender Leidenschaft sendenden Gluthen,
Von Neides und Hasses verzehrenden Wuthen,
Von seligster Liebe und brennendem Leide,
Der gaffenden Menge zur Seelenweide,
Wird munter und frisch und höchst ungenirt
Tantièmenfrei aus dem Stegreif tragirt.
Kein Autor, Verleger und keine Agenten,
Nicht Mißgunst scheelsüchtiger Zeitungsskribenten
Verbittert dem armen Director das Leben. (...)"

Die Schauspielerin Olga Heydecker-Langer geht in ihrer Mitte der 1920er Jahre niedergeschriebenen, sehr lesenswerten Autobiografie "Lebensreise im Komödiantenwagen" mit Kolleginnen und Kollegen ins Gericht, die auf die "Schmiere" herabsehen, der sie nicht selten selbst entstammen: "Mir tat es weh, wenn meine königlichen Kollegen über die 'Schmieren' ihre Witze rissen. Das Schicksal des echten Schmierenkomödianten ist tragisch. Tragisch die heiße Liebe zu seinen Idealen; denn ohne sie wäre die Kümmerlichkeit, die Not und die Verachtung nicht zu ertragen.
Schaut doch hin - ihr Auserwählten - auf eure kleinen Kollegen in der 'Provinz'! Mit welch zitterndem Ehrgeiz sie über Nacht die größten Rollen lernen, ihre armseligen Kostüme drehen und wenden und modernisieren: Essen kochen, Wäsche waschen, Kinder gebären und vergöttern, auch wenn sie sie nur in einer Eierkiste mit auf die Wanderschaft nehmen können. (...) Gehört dazu nicht viel mehr Aufopferung, viel mehr Selbstverleugnung, als in sorgloser, königlich-verbriefter Position über die Bretter tändeln? Warum schämen sich die meisten ihrer künstlerischen Vergangenheit? 
(...) Unvergeßlich ist mir da der Berliner Komiker Emil Thomas (...). 'Kindersch (...), wat en echter Komödiant is - der mimt heute auf die Hofbühne un morgen in ne Kegelbahn - denn det eenzieje wat de richtigjehende Kunst nich vertrajen kann, det is der verfluchtije Größenwahn! -- Zigeuner müßten m'r bleiben -- sonst is nischt los mit uns -- sonst is det Fluidum weg - laßt euch det von mich jesagt sind!'" (München 1928, S.167f)

Theaterzettel, Sammlung Nagel

Sonntag, 15. Juni 2008

Meyerheims übelriechende Sujets

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Der Tier- und Landschaftsmaler Paul Meyerheim (1842-1915) litt bereits zu Lebzeiten ein wenig darunter, dass "die Welt beliebt, den Künstler auf bestimmte Weise festzunageln. So sucht der Kenner von mir am liebsten nur übelriechende Sujets zu erwerben, als da sind: Menagerien, Affen, Löwen, Wilde usw. Aber ich male doch auch gern blumige Landschaften, Bilder mit Alpenluft und Waldesduft, doch diese alle gelten nicht als echte P.M." (Aus meinem Leben, Die Gartenlaube Nr.26, 1905, S.452)

Heute stellen Meyerheims Bilder vom Innenleben der „Tierbuden“ einmalige Zeugnisse dar, die einen realistischen Eindruck vom Geschehen und dem bescheidenen Interieur hinter den vielversprechenden Fassaden großer Menagerien bis hin zum kleinen Hunde- und Affentheater vermitteln.

Besonders fasziniert mich ein erst kürzlich erworbener Stich, der ein anderes Schaubuden-Genre zum Thema hat. Die „Schaustellung wilder Indianer“ zeigt das Innere einer typischen Bude, in der vermeintlich „ungezügelte Wilde“ wilde, rituelle Tänze aufführen. Auf den einfachen Holzbänken des ersten Platzes sowie auf den Stehplätzen dahinter staunt das einfache, offensichtlich ländliche Volk über diesen Einbruch einer ungezügelten, animalischen Exotik (man beachte die bereitliegenden Ketten) in die begrenzte und wohlgeordnete eigene Lebenswirklichkeit. Auch die aus dem Halbdunkel der schlichten Segeltuchbude schemenhaft auftauchenden wild zusammengewürfelten Ausstellungsstücke aus weit entfernt liegenden Ländern sind Teil dieser so einfachen wie beeindruckenden Inszenierung. Der Herr über diese Enklave einer verstörend sinnlichen, fremdartigen und scheinbar primitiven Welt ist der in die Phantasieuniform des weit gereisten Abenteurers gekleidete Schaubudenbesitzer…

(Informationen zur Schaustellung von Menschen aus weit entfernten Erdteilen im Kapitel „Völkerschau“ unter http://www.schaubuden.de/)
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