Dienstag, 2. Oktober 2012

Opium für 's Volk


Die beim einfachen Volk so beliebten reisenden Puppenspieler waren bei weltlichen und kirchlichen Instanzen wenig gelitten. Insbesondere die Komische Figur widersprach in ihrer weitgehenden Triebbestimmtheit, ihrer "Maß- und Sittenlosigkeit" sowie in der Opposition zur Obrigkeit, deren Vertreter in Puppenform nicht nur Spott, sondern oft auch körperliche Schelte ertragen mussten, vorherrschenden Anstands- und Moralvorstellungen.

Die Puppenspieler rekrutierten sich zumeist selbst aus unteren Volksschichten, viele gehörten zur Gruppe reisender "Komödianten", zu der sich in wirtschaftlichen Krisenzeiten verstärkt verarmte Bevölkerungsteile gesellten, nach großen Kriegen auch zeitweise entlassene Soldaten.

Welchen Hintergrund die Puppenspieler hatten, die ihren hölzernen Darstellern folgende Worte Jahre vor Feuerbach und Marx in den Mund legten, lässt sich nicht mehr ermitteln:

"Den Christus war ein Muhamed - ein kluger Mensch, dem nur das Zeitalter der Unwissenheit und Leichtgläubigkeit das Ansehen und die Ehre eines Gottes hat verschaffen können. In unseren aufgeklärten Zeiten hält ihn kein denkender Kopf für etwas mehr, als einen guthmütigen Schwärmer."

"Die Religion ist eine Erfindung der Politik, welche die Fürsten nur darum beschützen, weil sie den Staatsgesetzen erst die gehörige Kraft verschafft und weil das wilde Volk ohne diesselbe nicht gezügelt werden könnte. Der kluge Mensch läßt sich von diesem Popanz nicht in Furcht jagen, sondern thut das, was seine Klugheit ihm räth."


(mitgeschriebene Dialoge aus Stücken reisender Marionettenspieler in: Chemnitz, C.W.: Ueber den nachtheiligen Einfluß der jetzt gewöhnlichen Marionettenspiele auf den religiösen und sittlichen Zustand der unteren Volksklassen. Zerbst 1805, Reprint Frankfurt/ M. 1988, zit.n. Johannes Richter: Figurentheater und andere Schaustellungen zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Magdeburg und deren rechtliche Hintergründe. Magdeburg 2011, S.17)

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird das Publikum derlei Aussagen nicht mehr von den Puppenspielern zu hören bekommen haben. Der Charakter des Kaspers änderte sich zwar nicht grundlegend, die nun vornehmlich Puppentheater spielenden reisenden Komödianten ließen ihn seine anarchistische Grundhaltung meist jedoch nur noch in deutlich gemilderter Form ausleben.


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http://www.schaubuden.de/Schaubuden_Dateien/Schaubuden_Dateien_pdf/e%20Kapitel%204%20Puppentheater.pdf


Bildquelle: Die Lese. Literarische Zeitschrift für das Deutsche Volk. Nr.3. 3. Jahrgang, 20. Januar 1912, S.12


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